Der verspätete Insolvenzantrag und die Haftung des Beraters

Erklärt der vertraglich lediglich mit der Erstellung der Steuerbilanz betraute Steuerberater, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliege, haftet er der Gesellschaft wegen der Folgen der dadurch bedingten verspäteten Insolvenzantragstellung. Der durch eine verspätete Insolvenzantragstellung verursachte Schaden der Gesellschaft bemisst sich nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags. Wird der Insolvenzantrag einer GmbH infolge einer fehlerhaften Abschlussprüfung verspätet gestellt, trifft die Gesellschaft mit Rücksicht auf ihre Selbstprüfungspflicht in der Regel ein Mitverschulden an dem dadurch bedingten Insolvenzverschleppungsschaden.

Der verspätete Insolvenzantrag und die Haftung des Beraters

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof auf die Klage des Insolvenzverwalters einer insolventen GmbH (Schuldnerin) gegen die von der GmbH beauftragte Steuerberater-Sozietät.

Die Beklagte erstellte am 29. August 2005 den Jahresabschluss der Schuldnerin für den 31. Dezember 2004. In dem Bilanzbericht ist ausgeführt, dass zum Bilanzstichtag ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 46.541,38 € bestehe, es sich dabei aber nur um eine „Überschuldung rein bilanzieller Natur“ handele, weil für Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 48.278,68 € Rangrücktrittserklärungen vorlägen und der Gesellschaft aufgrund des hohen Anteils an Stammkunden ein hoher Firmenwert innewohne. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatzleistung in Anspruch, weil sie pflichtwidrig die zum 31. Dezember 2004 bei der Schuldnerin gegebene insolvenzrechtliche Überschuldung nicht erkannt hätten und die Schuldnerin mangels der gebotenen Antragstellung weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 264.938,88 € eingegangen sei.

Das erstinstanzlich mit der Schadensersatzklage befasste Landgericht Köln[1] sowie in der Berufungsinstanz das Oberlandesgericht Köln[2] haben die – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 30% – auf Zahlung von 187.457,21 € gerichtete Klage abgewiesen. Auf die – vom Bundesgerichtshof zugelassene – Revision des Insolvenzverwalters hob nun der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts Köln auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Oberlandesgericht zurück:

Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters

Die Prozessführungsbefugnis des Klägers begegnet für den Bundesgerichtshof keinen Bedenken.

Der Insolvenzverwalter ist gemäß § 208 Abs. 3 InsO auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Verwaltung und Verwertung der Masse verpflichtet. Das Amt des Insolvenzverwalters bleibt folglich nach Abgabe der Erklärung einschließlich der Verwertungs- und Befriedigungsaufgabe uneingeschränkt bestehen[3]. Darum hat der Insolvenzverwalter nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit erfolgversprechende Aktivprozesse, für deren Durchführung er die Gewährung von Prozesskostenhilfe beanspruchen kann[4], im Interesse der Massemehrung einzuleiten und durchzuführen[5]. Obsiegt der Beklagte, muss er es hinnehmen, dass etwaige Kostenerstattungsansprüche unbefriedigt bleiben. Grund dafür ist, dass die Deckung der eigenen Prozesskosten durch den unterlegenen Gegner zu den allgemeinen Prozessrisiken einer obsiegenden Partei gehört[6].

Pflichten – und Haftung – des Steuerberaters

Gegen die Steuerberater bestehen vertragliche Ansprüche, wenn sie – wovon nach dem revisionsrechtlich zugrundezulegenden Sachverhalt auszugehen ist – pflichtwidrig eine insolvenzrechtliche Überschuldung der Schuldnerin nicht festgestellt haben.

Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des mit der allgemeinen steuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht des Geschäftsführers ist, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten ist und gegebenenfalls gemäß § 15a InsO Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. Hingegen besteht eine haftungsrechtliche Verantwortung, wenn dem steuerlichen Berater ein ausdrücklicher Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens erteilt wird[7]. In dieser Weise ist der Streitfall gelagert.

Soweit die Steuerberatersozietät als allgemeine steuerliche Beraterin den eine bilanzielle Überschuldung der Schuldnerin ausweisenden Jahresabschluss gefertigt hat, kann aus etwaigen insolvenzrechtlichen Fehlleistungen eine Haftung allerdings nicht hergeleitet werden. Die Steuerberatersozietät hat jedoch nicht lediglich eine Handelsbilanz erstellt, sondern darüber hinaus unter Bezug auf Rangrücktrittsvereinbarungen und den Firmenwert durch die weitergehende Bemerkung, dass es sich um eine „Überschuldung rein bilanzieller Natur“ handele, eine insolvenzrechtliche Überschuldung der Schuldnerin ausgeschlossen[8]. In dem Hinweis auf eine rein bilanzielle Überschuldung findet die Bewertung unmissverständlichen Ausdruck, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung gerade nicht vorliegt. Der Hinweis auf die Rangrücktrittsvereinbarungen und den Firmenwert offenbart, dass die Steuerberatersozietät eine über die steuerliche Bilanzierung hinausgehende Leistung erbracht hat[9]. Aufgrund der wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung der Angelegenheit handelte es sich insoweit nicht um eine bloße Gefälligkeit der Beklagten, sondern um eine zusätzliche Prüfung, auf deren Richtigkeit die Schuldnerin vertrauen durfte[10]. Wurde von ihr eine tatsächlich bestehende insolvenzrechtliche Überschuldung verkannt, hat die Beklagte zu 1 folglich gemäß § 634 Nr. 4 BGB Schadensersatz zu leisten. Für diese Verpflichtung hat auch der einzelne Steuerberater als (seinerzeitiger) Gesellschafter der Steuerberatersozietät gemäß § 128 Satz 1, § 129 HGB persönlich einzustehen[11], weil er der Steuerberatersozietät zu dem Zeitpunkt, als die – zu unterstellende, obendrein ihm selbst anzulastende – Pflichtwidrigkeit verwirklicht wurde, als Gesellschafter angehörte[12].

Bei dem Vermerk handelte es sich nicht nur um die Wiedergabe einer Auffassung der Geschäftsleitung der Schuldnerin ohne eigenen Erklärungswert. Eine hinreichende Distanzierung der Steuerberatersozietät ist dem Vermerk nicht zu entnehmen.

Bei Feststellung der Insolvenzreife einer GmbH scheidet vielfach ein Anscheinsbeweis für das dadurch veranlasste Verhalten des Geschäftsführers ausscheidet, weil bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unterschiedliche Maßnahmen in Betracht kommen. Als Alternative zu einer Insolvenzantragstellung stand der Schuldnerin die Möglichkeit offen, innerhalb der Antragsfrist (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO; § 64 Abs. 1 GmbHG aF) eine Umstrukturierung des Unternehmens vorzunehmen und insbesondere die Insolvenz durch Zuführung neuer Mittel abzuwenden. Anders verhielte es sich nur, wenn eine Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft angesichts der finanziellen Möglichkeiten ihrer Gesellschafter von vornherein ausgeschlossen war[13].

Geht es darum, welche hypothetische Entscheidung der Geschäftsführer einer GmbH bei vertragsgerechtem Verhalten des rechtlichen Beraters getroffen hätte, liegt es nahe, ihn dazu in einem von der Gesellschaft geführten Rechtsstreit gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO als Partei zu vernehmen, weil es um eine innere, in seiner Person liegende Tatsache geht. Da die Feststellung, ob ein Schaden entstanden ist, nach den Beweisregeln des § 287 ZPO getroffen wird, gehört die Frage, wie sich der Geschäftsführer bei ordnungsgemäßer Beratung verhalten hätte, zu dem von § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO erfassten Bereich[14]. Ist bei Klagen der GmbH eine Parteivernehmung ihres Geschäftsführers zum Nachweis seines mutmaßlichen Verhaltens angezeigt, kann in einem von dem Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreit der Antrag, ihn zu diesem Thema als Zeuge zu hören, nicht abgelehnt werden. Der Beweisantritt zu einer Haupttatsache darf nicht aufgrund der Würdigung von Indiztatsachen übergangen werden[15].

Ersatzfähiger Schaden

Ausgangspunkt jeder Schadensberechnung bildet die Differenzhypothese.

Ob und inwieweit ein nach §§ 249 ff BGB zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Die Differenzhypothese umfasst zugleich das Erfordernis der Kausalität zwischen dem haftungsbegründenden Ereignis und einer dadurch eingetretenen Vermögensminderung. Nur eine Vermögensminderung, die durch das haftungsbegründende Ereignis verursacht ist, das heißt ohne dieses nicht eingetreten wäre, ist als ersatzfähiger Schaden anzuerkennen[16]. Nach der Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Dabei ist zu beachten, dass zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs nur die pflichtwidrige Handlung hinweggedacht, nicht aber weitere Umstände hinzugedacht werden dürfen[17]. Die sich aus der Äquivalenz ergebende weite Haftung für Schadensfolgen grenzt die Rechtsprechung durch die weiteren Zurechnungskriterien der Adäquanz des Kausalverlaufs und des Schutzzwecks der Norm ein[18].

Nach diesen Maßstäben haben die Steuerberater grundsätzlich einen der Schuldnerin nach Eintritt der Insolvenzreife durch die Fortsetzung ihrer Geschäftstätigkeit erwachsenen Schaden zu ersetzen.

Das Erfordernis eines Ursachenzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden ist erfüllt. Hätte die Steuerberatersozietät – wie zu unterstellen ist – die bestehende Überschuldung der Schuldnerin erkannt und der Geschäftsführer der Schuldnerin auf der Grundlage dieser Bewertung einen Insolvenzantrag gestellt, wären die bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung eingetretenen weiteren Vermögensnachteile vermieden worden.

Die hierdurch bewirkte Vertiefung der Überschuldung bildet eine grundsätzlich auch adäquate Schadensfolge.

Der Zurechnungszusammenhang kann allerdings fehlen, sofern die Verluste nicht auf der Fortsetzung der üblichen Geschäftstätigkeit, sondern auf der Eingehung wirtschaftlich nicht vertretbarer Risiken beruht und dadurch der Bereich adäquater Schadensverursachung verlassen wurde. Dies kann erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Geschäftsleiters aus anderen Gründen als unvertretbar gelten muss[19].

Soweit das OLG Köln insoweit von dem Kläger eine Differenzierung nach Art der Verbindlichkeiten verlangt, hat es nicht berücksichtigt, dass die Frage, ob die Schuldnerin infolge der fehlerhaften Bilanz der Beklagten einen Schaden erlitten hat, auf der Grundlage von § 287 Abs. 1 ZPO zu beurteilen ist. Diese Vorschrift ist dazu geschaffen, dem Kläger eines Schadensersatzprozesses die Einzelbegründung seines Schadens abzunehmen, und vermindert damit in ihrem Anwendungsbereich auch die sonst strengeren Anforderungen an die Darlegung. Das gilt auch für den vom Berufungsgericht aufgeworfenen Gesichtspunkt, ob nicht einige oder sämtliche vom Kläger geltend gemachten Schäden in Gestalt der behaupteten Erhöhung der Überschuldung auf nach kaufmännischen Grundsätzen nicht verantwortbaren Entscheidungen beruhen[20]. Außerdem hat das Berufungsgericht das durch seinen Hinweis veranlasste Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt, dass die von ihm vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen keine außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle auswiesen. Bei dieser Sachlage kann die Klage nicht mangels einer schlüssigen Schadensdarlegung abgewiesen werden.

Der sich in der Vertiefung der Überschuldung manifestierende Schaden der Schuldnerin ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der verletzten Norm zu begrenzen.

Eine Ersatzpflicht der Organe gegenüber der Gesellschaft ist gegeben, wenn sich die Verbindlichkeiten eines insolvenzreifen Unternehmens wegen verspäteter Insolvenzantragstellung vermehren. Da auch eine überschuldete Gesellschaft verpflichtet bleibt, ihre Gläubiger nach Möglichkeit zu befriedigen, hat sie von allen ihr zustehenden Rechten Gebrauch zu machen, um dieser Pflicht zu genügen. Wird ein überschuldetes Unternehmen pflichtwidrig fortgeführt, kann es von dem verantwortlichen Organ Schadensersatz in Höhe der Steigerung seiner Überschuldung beanspruchen[21]. Dieser Schaden wird vom Schutzzweck der Insolvenzverschleppungshaftung umfasst.

Wird aufgrund einer von einem Abschlussprüfer gefertigten fehlerhaften Überschuldungsbilanz ein Insolvenzantrag verspätet gestellt, erfasst der daraus sich ergebende Schadensersatzanspruch ebenfalls den gesamten Insolvenzverschleppungsschaden, der insbesondere durch die auf der Unternehmensfortführung beruhende Vergrößerung der Verbindlichkeiten erwächst[22]. Folglich bemisst sich der Schaden der Schuldnerin nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags[23]. Nachteile, die durch die gebotene Liquidation ohnedies eintreten würden, braucht der Schädiger hingegen nicht zu ersetzen. Gleiches gilt, wenn einige oder sämtliche geltend gemachten Schäden in Gestalt der behaupteten Erhöhung der unterstellten Überschuldung auch dann eingetreten wären, wenn das Insolvenzverfahren auf einen rechtzeitigen Antrag eröffnet worden wäre[24]. Von dieser rechtlichen Würdigung ist der Bundesgerichtshof – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – im Urteil vom 26.10.2000[25] nicht abgerückt.

Mitverschulden

Allerdings kann ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers infolge eines der Schuldnerin analog § 31 BGB zuzurechnenden Mitverschuldens ihres Geschäftsführers (§ 254 Abs. 1 BGB) erheblich gemindert oder sogar ganz ausgeschlossen sein[26]. Dabei handelt es sich um eine zuvörderst dem Tatrichter obliegende, von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängige Bewertung[27].

Gemäß § 254 Abs. 1 BGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat, die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt bei der Haftung wegen einer fehlerhaften Abschlussprüfung die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des betroffenen Unternehmens in Betracht. Allerdings ist im Hinblick darauf, dass es die vorrangige Aufgabe des Abschlussprüfers ist, Fehler in der Rechnungslegung des Unternehmens aufzudecken und den daraus drohenden Schaden von diesem abzuwenden, bei der Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB mehr Zurückhaltung als bei anderen Schädigern geboten. Daher lässt auch eine vorsätzliche Irreführung des Prüfers seine Ersatzpflicht nicht ohne weiteres gänzlich entfallen[28]. Andererseits ist der Mitverschuldenseinwand zu beachten, wenn dem Auftraggeber, der gemäß § 322 Abs. 2 Satz 2 HGB in eigener Verantwortung den zu prüfenden Jahresabschluss aufzustellen hat, und dem Prüfer nur Fahrlässigkeit anzulasten ist[29]. Da die Abschlussprüfung das gesellschaftsinterne Kontrollsystem nicht ersetzen soll, ist der GmbH ein auch nur fahrlässiges Mitverschulden anzulasten, wenn sie ihre Insolvenzreife nicht erkennt[30]. Aufgrund der Gesamtwürdigung kann der Tatrichter im Einzelfall in Anwendung von § 254 BGB zu einem vollständigen Haftungsausschluss des Abschlussprüfers gelangen[31].

Bei der Bewertung des wechselseitigen Verschuldensgrades kann insbesondere die Schwere der dem Abschlussprüfer vorzuwerfenden Pflichtverletzung, also etwa das Ausmaß, in dem das Ergebnis der Prüfung von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht, von Bedeutung sein. Hat der Abschlussprüfer der Gesellschaft anstelle der tatsächlich verwirklichten Überschuldung einen erheblichen Vermögensüberschuss attestiert, kann er der Geschäftsführung Anlass geben, die gebotene Selbstprüfung der wirtschaftlichen Lage zu vernachlässigen und risikoträchtige Geschäfte einzugehen, indem etwa bei der Preiskalkulation großzügig verfahren und nicht genau auf die Kostendeckung Bedacht genommen wird. Hier dürfte von einem überwiegenden Verschulden des Abschlussprüfers auszugehen sein, weil er bei der Gesellschaft das irrige Vertrauen weckt, sich nicht in einer wirtschaftlichen Schieflage zu befinden.

Anders verhält es sich dagegen, wenn dem Abschlussprüfer lediglich anzulasten ist, das Vermögen der Gesellschaft infolge einer Überbewertung der stillen Reserven gleich hoch wie ihre Verbindlichkeiten angesetzt und deswegen eine Überschuldung abgelehnt zu haben. Auf der Grundlage eines solchen Prüfungsergebnisses muss dem Geschäftsführer bewusst sein, den Geschäftsbetrieb nur bei Vermeidung weiterer Verluste unter strikter Wahrung der Kostendeckung fortsetzen zu dürfen. Dann trägt er die primäre Verantwortung dafür, dass keine weiteren Einbußen entstehen. Wird hierdurch die Überschuldung vertieft, kann – was auch im Streitfall zu erwägen sein dürfte – in Betracht kommen, ein ganz überwiegendes Mitverschulden der Gesellschaft oder gar eine Haftungsfreistellung des Abschlussprüfers zugrundezulegen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Juni 2013 – IX ZR 204/12

  1. LG Köln, Urteil vom 06.10.2011 – 2 O 419/10[]
  2. OLG Köln, Urteil vom 19.07.2012 – 8 U 55/11[]
  3. MünchKomm-InsO/Hefermehl, 2. Aufl., § 208 Rn. 43[]
  4. BGH, Beschluss vom 28.02.2008 – IX ZB 147/07, WM 2008, 880 Rn. 6 ff[]
  5. OLG Celle, ZInsO 2004, 93; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 208 Rn. 15; MünchKomm-InsO/Hefermehl, aaO § 208 Rn. 50[]
  6. BGH, Urteil vom 26.06.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175, 179[]
  7. BGH, Urteil vom 07.03.2013 – IX ZR 64/12, DB 2013, 928 Rn. 15, 19[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 15.12.1954 – II ZR 322/53, BGHZ 16, 17, 24 ff[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 07.03.2013 – IX ZR 64/12, DB 2013, 928 Rn. 18[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2008 – IX ZR 12/05, WM 2009, 369 Rn. 6 ff[]
  11. BGH, Urteil vom 10.05.2012 – IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rn. 68 f[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1982 – IVa ZR 291/80, BGHZ 83, 328, 330 f[]
  13. BGH, Urteil vom 14.06.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rn. 40[]
  14. BGH, Urteil vom 16.10.2003 – IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474[]
  15. vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.2006 – IX ZR 173/03, WM 2007, 569 Rn. 10[]
  16. BGH, Urteil vom 14.06.2012 – IX ZR 145/11, BGHZ 193, 297 Rn. 42; Beschluss vom 07.02.2013 – IX ZR 75/12, ZInsO 2013, 671 Rn. 10[]
  17. BGH, Urteil vom 05.05.2011 – IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299 Rn. 35[]
  18. vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2012 – VI ZR 127/11, NJW 2012, 2964 Rn. 12[]
  19. vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 f[]
  20. vgl. BGH, Urteil vom 18.02.1987 – IVa ZR 232/85, VersR 1988, 178 f[]
  21. RGZ 161, 129, 142 f; BGH, Urteil vom 29.06.1972 – II ZR 123/71, BGHZ 59,148, 149 f; vom 10.10.1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 582 f[]
  22. BGH, Urteil vom 18.02.1987 – IVa ZR 232/85, VersR 1988, 178 f; vgl. BGH, Urteil vom 07.03.2013 – IX ZR 64/12, DB 2013, 928 Rn.19[]
  23. vgl. Büchler, InsVZ 2010, 68, 75[]
  24. BGH, Urteil vom 18.02.1987 – IVa ZR 232/85, VersR 1988, 178 f[]
  25. IX ZR 289/99, NJW 2001, 517[]
  26. vgl. BGH, Beschluss vom 23.10.1997 – III ZR 275/96, NJWE-VHR 1998, 39, 40; Urteil vom 10.12.2009 – VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323 Rn. 54; OLG Schleswig, GI 1993, 373, 382 f[]
  27. BGH, Urteil vom 25.06.1991 – X ZR 103/89, NJW-RR 1991, 1240, 1241[]
  28. BGH, Urteil vom 10.12.2009, aaO Rn. 56[]
  29. vgl. MünchKomm-HGB/Ebke, 2. Aufl., § 323 Rn. 75; Winkeljohann/Feldmüller, Beck´scher Bilanzkommentar, 8. Aufl., § 323 Rn. 123[]
  30. Staub/Zimmer, HGB, 4. Aufl., § 323 Rn. 42; Winkeljohann/Feldmüller, Beck´scher Bilanzkommentar, 8. Aufl., § 323 Rn. 123; vgl. BGH, Urteil vom 27.02.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 62[]
  31. BGH, Beschluss vom 23.10.1997, aaO[]