Betriebsprüfung – und die Mitwirkungspflicht des Freiberuflers

Ob und in welchem Umfang das Finanzamt einen freiberuflich tätigen Steuerpflichtigen gemäß § 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO zur Herausgabe nicht aufbewahrungspflichtiger Unterlagen (Kontoauszüge) verpflichten kann, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks fehlerfrei ausgeübt hat.

Betriebsprüfung – und die Mitwirkungspflicht des Freiberuflers

Ob und in welchem Umfang die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung den Steuerpflichtigen -wie hier- nach § 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Abgabenordnung (AO) zur Herausgabe von Unterlagen zwecks Feststellung des steuererheblichen Sachverhalts verpflichten kann, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat[1]. Die Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, ist allgemeinen Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht zugänglich und kann daher grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen[2].

Etwas anderes kann dann gelten, wenn aufgrund bestimmter Umstände, die ihrerseits nicht solche des Einzelfalls sind, eine Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen zur Mitwirkung nach § 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO nach pflichtgemäßem Ermessen von vornherein ausscheidet[3].

Ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor: Die Klägerin sieht solche Umstände darin, dass sie als freiberufliche Heilpraktikerin mit ausschließlich umsatzsteuerfreien Umsätzen nicht zur Aufbewahrung von Kontoauszügen eines sowohl betrieblich als auch privat genutzten Kontos verpflichtet sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs jedoch ein Herausgabeverlangen der Finanzbehörde nach § 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO im Einzelfall auch auf solche Unterlagen erstrecken, für die den Steuerpflichtigen keine Aufbewahrungspflicht trifft[4]. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 2 AO, der keine Einschränkungen enthält, insbesondere keine Akzessorietät zu Aufbewahrungspflichten herstellt, wie dies etwa in § 147 Abs. 6 AO der Fall ist. Der Ermittlung der Verhältnisse des Steuerpflichtigen dient die Anforderung von Unterlagen im Einzelfall auch dann, wenn keine entsprechende Aufbewahrungspflicht besteht, diese Unterlagen aber vorhanden sind und daher vom Steuerpflichtigen vorgelegt werden können[5]. Die Finanzbehörde hat mithin auch in solchen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob und in welcher Form sie den Steuerpflichtigen auf Herausgabe der nicht aufbewahrungspflichtigen steuererheblichen Unterlagen in Anspruch nimmt.

 

 

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 5. April 2022 – VIII B 42/21

  1. vgl. BFH, Urteil vom 15.09.1992 – VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76; BFH, Beschluss vom 15.10.2021 – VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97[]
  2. BFH, Beschluss vom 16.02.2011 – VIII B 246/09, BFH/NV 2011, 748[]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 07.08.2013 – VI B 99/12, BFH/NV 2013, 1934, Rz 14[]
  4. BFH, Urteile vom 12.02.2020 – X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045; und vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455, Rz 35[]